Einleitung

Letzte Instanz Grundgesetz – die Verfassungsbeschwerde als Schutzinstrument
Wenn staatliches Handeln Grundrechte verletzt und alle anderen Rechtswege ausgeschöpft sind, bleibt nur noch ein Schritt: die Verfassungsbeschwerde nach Artikel 93 Absatz 1 Nr. 4a GG in Verbindung mit § 90 ff. BVerfGG.

Sie gilt als „Königsweg“ des Individualrechtsschutzes, ist aber zugleich eine der anspruchsvollsten Formen der juristischen Auseinandersetzung. Nur rund zwei Prozent aller Verfassungsbeschwerden werden zur Entscheidung angenommen – dennoch ist sie oft das letzte Mittel, um staatliches Unrecht auf verfassungsrechtlicher Ebene geltend zu machen.

Diese Themenseite zeigt, wer eine Verfassungsbeschwerde einreichen darf, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, welche Fristen und Formerfordernisse gelten – und welche Fehler Sie unbedingt vermeiden sollten. Sie erfahren auch, wie das Bundesverfassungsgericht prüft, ob eine Beschwerde zur Entscheidung angenommen wird, und was Sie tun können, wenn Sie rechtlich oder finanziell überfordert sind.

Rechtliche Grundlagen

Die Verfassungsbeschwerde ist in Artikel 93 Absatz 1 Nr. 4a des Grundgesetzes (GG) geregelt. Sie wird durch die § 90 bis § 95a des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) konkretisiert.

Eine Beschwerde ist zulässig, wenn ein Beschwerdeführer geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Öffentliche Gewalt umfasst dabei sowohl Gesetzgebung, vollziehende Gewalt (z. B. Behörden, Polizei, Justiz) als auch Rechtsprechung.

Zentrale Normen im Überblick:
  • Artikel 1 bis 19 GG: Schutz der Grundrechte (z. B. Menschenwürde, Meinungsfreiheit, Eigentum, Gleichheit vor dem Gesetz)
  • Artikel 20 Abs. 3 GG: Bindung der Gesetzgebung, Exekutive und Judikative an das Grundgesetz
  • § 90 Abs. 1 BVerfGG: Jede Person kann Verfassungsbeschwerde erheben, wenn sie behauptet, durch die öffentliche Gewalt in einem ihrer Grundrechte verletzt zu sein
  • § 90 Abs. 2 BVerfGG: Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Rechtsweg erschöpft wurde oder kein anderer Rechtsweg offensteht

„Die Verfassungsbeschwerde ist kein Ersatz für eine Berufung, sondern ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur Wahrung der Grundrechte.“

– Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17.02.2021 (1 BvR 2756/20)

Weitere Regelungen zur Form und Frist finden sich in:
  • § 23 Abs. 1 BVerfGG: Die Beschwerde muss schriftlich und mit Begründung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden
  • § 93 Abs. 1 BVerfGG: Die Frist beträgt einen Monat nach Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung oder des belastenden Hoheitsakts

Zulässigkeit & Voraussetzungen

Nicht jede Beschwerde wird vom Bundesverfassungsgericht angenommen. Es gelten strenge formelle und inhaltliche Zulässigkeitsvoraussetzungen, die alle erfüllt sein müssen. Eine Verfassungsbeschwerde ist nur dann zulässig, wenn folgende Punkte eingehalten werden:

1. Beschwerdefähigkeit:
Die Beschwerde muss von einer natürlichen oder juristischen Person selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch einen Hoheitsakt in einem Grundrecht verletzt zu sein. Auch Ausländer und nicht rechtsfähige Vereinigungen können unter Umständen beschwerdefähig sein.

2. Beschwerdegegenstand:
Zulässig ist die Anfechtung gerichtlicher Entscheidungen, Gesetze, Verwaltungsakte
3. Beschwerdebefugnis:
Es muss eine mögliche Grundrechtsverletzung dargelegt werden. Der Beschwerdeführer muss geltend machen, selbst betroffen zu sein – rein abstrakte oder hypothetische Rechtsfragen genügen nicht.

4. Rechtswegerschöpfung:
Vor dem Bundesverfassungsgericht müssen alle anderen fachgerichtlichen Instanzen vollständig durchlaufen worden sein (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Eine direkte Beschwerde ohne vorherige gerichtliche Auseinandersetzung ist in der Regel unzulässig.

5. Begründungspflicht und Substantiierung:
Die Beschwerde muss klar, strukturiert und inhaltlich begründet sein. Der Sachverhalt, die konkrete Grundrechtsverletzung sowie die angegriffene Maßnahme müssen präzise dargestellt werden. Pauschale Kritik oder politische Meinungsäußerungen reichen nicht aus.

Form und Frist

Die Einhaltung der Formvorschriften und Fristen ist zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde. Bereits kleinste Fehler können dazu führen, dass die Beschwerde ohne inhaltliche Prüfung verworfen wird.

Schriftlichkeit:
Die Beschwerde muss schriftlich eingereicht und eigenhändig unterschrieben sein (§23 Abs.1 Satz1 BVerfGG). Ein bloßes E-Mail-Schreiben oder mündliche Eingaben sind unzulässig.

Einreichungswege:
Privatpersonen können die Beschwerde per Post oder per Fax einreichen. Eine Online-Übermittlung ist derzeit nicht vorgesehen.
Empfohlen wird die postalische Einreichung per Einschreiben mit Rückschein – idealerweise mit dem Zusatz „eigenhändig“, um den Empfang gerichtsfest zu dokumentieren.

Wird die Beschwerde durch einen Rechtsanwalt eingereicht, muss zwingend das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) verwendet werden (§ 23c BVerfGG).

Frist:
Die Verfassungsbeschwerde muss innerhalb eines Monats nach Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung eingehen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Die Frist beginnt in dem Moment, in dem das Urteil, der Beschluss oder Verwaltungsakt formell und mit Begründung zugestellt wurde.

„Zustellung im Sinne des § 93 Abs. 1 BVerfGG setzt die förmliche Bekanntgabe der vollständigen Entscheidung an den Beschwerdeführer voraus.“

– Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21.04.2021 (1 BvR 152/21)
Hinweis der Redaktion:
Wenn Sie keinen Anwalt beauftragen und Ihre Verfassungsbeschwerde selbst einreichen möchten, empfehlen wir dringend, dies schriftlich per Einschreiben mit Rückschein zu tun. Achten Sie darauf, dass das vollständige Dokument eigenhändig unterschrieben ist.

Alternativ kann ein Rechtsanwalt die Beschwerde über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) einreichen.

Instanzenspezifische Unterschiede

Die Verfassungsbeschwerde ist kein allgemeines Rechtsmittel gegen Entscheidungen von Behörden oder Gerichten. Sie darf erst dann erhoben werden, wenn der gesamte fachgerichtliche Rechtsweg ausgeschöpft wurde (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Dies bedeutet, dass vor einer Verfassungsbeschwerde grundsätzlich alle zur Verfügung stehenden normalen Instanzen (z. B. Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht bzw. Sozialgericht, LSG, BSG) durchlaufen werden müssen.


Eine direkte Verfassungsbeschwerde ohne vorherige Klage oder Berufung ist nur in Ausnahmefällen zulässig – etwa, wenn ein Gesetz unmittelbar, gegenwärtig und eindeutig in Grundrechte eingreift (sog. Rechtssatzverfassungsbeschwerde). Solche Fälle sind jedoch selten.


Auch bei Untätigkeit öffentlicher Stellen reicht es nicht aus, sich direkt ans Bundesverfassungsgericht zu wenden. Zunächst müssen andere Möglichkeiten ausgeschöpft werden, etwa eine Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht.


In der Praxis entstehen häufig Missverständnisse, wann eine Verfassungsbeschwerde überhaupt in Betracht kommt. Besonders bei sozialrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Konflikten ist Geduld im Instanzenzug erforderlich, bevor das Bundesverfassungsgericht angerufen werden kann.


„Das Bundesverfassungsgericht ist kein Superrevisionsgericht. Es prüft nicht, ob Entscheidungen richtig, sondern ob sie verfassungsmäßig sind.“

– Süddeutsche Zeitung, Hintergrundartikel vom 04.03.2020

Typische Praxis / Missstände

Die Verfassungsbeschwerde ist kein allgemeines Rechtsmittel gegen Entscheidungen von Behörden oder Gerichten. Sie darf erst dann erhoben werden, wenn der gesamte fachgerichtliche Rechtsweg ausgeschöpft wurde (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Das bedeutet, dass zuvor alle verfügbaren gerichtlichen Instanzen genutzt werden müssen – z. B. Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht oder bei Sozialrecht: Sozialgericht, Landessozialgericht, Bundessozialgericht.


Eine unmittelbare Verfassungsbeschwerde ohne vorherige Klage ist nur in engen Ausnahmefällen möglich, etwa bei sogenannten Rechtssatzverfassungsbeschwerden, wenn ein Gesetz selbst – unabhängig von einem konkreten Verfahren – unmittelbar, gegenwärtig und eindeutig in Grundrechte eingreift. Diese Fälle sind selten und juristisch anspruchsvoll.


Auch bei Untätigkeit öffentlicher Stellen muss zuerst der übliche Rechtsweg beschritten werden. Das bedeutet z. B., eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht einzureichen, bevor eine Verfassungsbeschwerde in Betracht gezogen werden kann.


Gerade in verwaltungs- oder sozialrechtlichen Verfahren entstehen häufig Missverständnisse über die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts. Viele Beschwerden werden abgelehnt, weil die Fachgerichte nicht vollständig durchlaufen wurden oder weil keine grundrechtliche Verletzung ausreichend dargelegt ist.


„Das Bundesverfassungsgericht ist kein Superrevisionsgericht. Es prüft nicht, ob Entscheidungen richtig, sondern ob sie verfassungsmäßig sind.“

– Süddeutsche Zeitung, Hintergrundartikel vom 04.03.2020

Viele Verfassungsbeschwerden scheitern bereits an formalen Anforderungen – nicht etwa, weil das Anliegen unbegründet wäre, sondern weil zentrale Voraussetzungen übersehen wurden. Dies betrifft insbesondere die fehlende Erschöpfung des Rechtswegs, unklare oder unvollständige Begründungen sowie Versäumnisse bei der Einreichungsfrist.

Ein häufiges Missverständnis besteht darin, dass Betroffene glauben, sie könnten direkt beim Bundesverfassungsgericht Klage einreichen, ohne zuvor den Instanzenzug durchlaufen zu haben. Tatsächlich muss jedoch regelmäßig der vollständige Rechtsweg – vom Amts- oder Landgericht bis hin zu etwaigen Berufungs- oder Revisionsinstanzen – ausgeschöpft sein, bevor eine Verfassungsbeschwerde zulässig ist.

Ebenfalls kritisch ist die unpräzise Darstellung des Grundrechtsbezugs. Das Bundesverfassungsgericht prüft nicht, ob eine Entscheidung „ungerecht“ ist, sondern ob ein konkretes Grundrecht in seinem . Allgemeine Unzufriedenheit mit dem Ergebnis reicht nicht aus – es braucht eine klare verfassungsrechtliche Argumentation, idealerweise gestützt durch Rechtsprechung und Literatur.

Schließlich kommt es regelmäßig vor, dass Beschwerden nicht eigenhändig unterschrieben oder verspätet eingereicht werden – beides führt ohne weitere Prüfung zur Ablehnung.

Was kann ich tun?

Was kann ich tun, wenn ich eine Grundrechtsverletzung vermute?

Die Einreichung einer Verfassungsbeschwerde ist kein einfacher Verwaltungsakt, sondern ein streng formalisierter und rechtlich hoch anspruchsvoller Vorgang. Die folgenden Schritte sollten unbedingt beachtet werden, um die Erfolgschancen nicht schon im Ansatz zu gefährden:

  1. Fachgerichtliche Instanzen vollständig durchlaufen (Rechtswegerschöpfung):
    Eine Verfassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn alle fachgerichtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden – z. B. Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, ggf. Bundesgerichtshof.

    „Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz für unzufriedene Bürger, sondern dient dem Schutz konkret verletzter Grundrechte.“

    – BVerfG, Beschluss vom 08.12.2021 (1 BvR 1543/20)
  2. Betroffenes Grundrecht konkret benennen:
    In der Beschwerdeschrift muss präzise angegeben werden, welches Grundrecht (z. B. Art. 5 GG – Meinungsfreiheit) verletzt wurde – und in welcher Weise dies durch staatliches Handeln erfolgt ist.
  3. Beschwerdebegründung sorgfältig formulieren:
    Es genügt nicht, pauschal von „Ungerechtigkeit“ zu sprechen. Die Verletzung des Grundrechts muss juristisch nachvollziehbar begründet und mit konkreten Akten, Urteilen oder Entscheidungen belegt werden.
  4. Frist beachten:
    Die vollständige Beschwerde muss innerhalb von einem Monat nach Zustellung der letztinstanzlichen Entscheidung eingereicht werden (§ 93 Abs. 1 BVerfGG).
  5. Form wahren:
    Die Verfassungsbeschwerde muss schriftlich und eigenhändig unterschrieben eingereicht werden. Falls kein Anwalt eingeschaltet ist, empfiehlt sich die Versendung per Einschreiben mit Rückschein.

    Hinweis der Redaktion: Privatpersonen können die Beschwerde auch postalisch einreichen – idealerweise per Einschreiben mit Rückschein und eigenhändiger Unterschrift. Alternativ erfolgt die Übermittlung über eine Anwältin oder einen Anwalt per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA).

  6. Juristische Unterstützung einholen (optional, aber empfohlen):
    Eine anwaltliche Beratung ist nicht vorgeschrieben – sie erhöht jedoch die Qualität der Begründung und kann typische Formfehler vermeiden helfen.
  7. Recherche und Dokumentation:
    Informieren Sie sich anhand vergleichbarer Fälle, Urteile des BVerfG und wissenschaftlicher Literatur. Eine fundierte Begründung wirkt sich positiv auf die Bewertung der Beschwerde aus.
  8. Fall bei Verfassungswache.de melden:
    Wenn Sie Hinweise auf strukturelle Missstände oder behördliche Willkür haben, können Sie diese auch an uns melden. Als journalistisches Medium prüfen wir eingereichte Fälle redaktionell und setzen uns – sofern gerechtfertigt – mit den zuständigen Stellen in Verbindung.
    Fallmeldung hier einreichen.

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