Einleitung

Wenn Behörden schweigen – was Bürgerinnen und Bürger wissen sollten

Ob Anträge, Widersprüche oder einfache Anfragen: Wenn öffentliche Stellen nicht reagieren, ist das nicht nur frustrierend – es kann auch ein Rechtsverstoß sein. Die Untätigkeit von Behörden betrifft das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz und kann schwerwiegende Folgen für Betroffene haben – von der Verzögerung notwendiger Leistungen bis hin zur gezielten Verschleppung von Verfahren.

Diese Themenseite zeigt, wann eine behördliche Untätigkeit vorliegt, welche rechtlichen Grundlagen gelten und welche Schritte Sie unternehmen können, um sich effektiv zu wehren – bis hin zur sogenannten Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht.

Rechtliche Grundlagen

Rechtsanspruch auf Entscheidung – was § 75 VwGO Bürgern garantiert

Behörden dürfen Anträge nicht unbegrenzt liegen lassen. Der Gesetzgeber hat mit § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine klare Regelung geschaffen: Wird über einen Antrag oder Widerspruch nicht innerhalb angemessener Frist entschieden, können Betroffene klagen – auch ohne vorherigen Widerspruchsbescheid.

Konkret heißt es im Gesetz:

„Ist über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage auch ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig.“

– § 75 VwGO

Als „angemessen“ gilt in der Regel ein Zeitraum von drei Monaten. Bleibt die Behörde bis dahin untätig, können Sie eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht einreichen.

Ergänzend schützt Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) das Recht auf effektiven Rechtsschutz: Jeder Bürger muss die Möglichkeit haben, sich gegen staatliches Schweigen oder Verzögern rechtlich zu wehren.

Instanzenspezifische Unterschiede

Untätigkeit ist nicht gleich Untätigkeit – jede Behörde agiert anders

Jobcenter & Sozialbehörden Bei Anträgen nach dem SGB II oder SGB XII gelten feste Fristen: • Leistungsbescheide sollen grundsätzlich innerhalb von 6 Monaten nach Antragstellung ergehen (vgl. §88 SGG i.V.m. §39 SGB I und §17 SGB II). • Dauert die Prüfung länger, können Betroffene nach dieser Frist eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht erheben.

Jugendämter Bearbeiten komplexe Einzelfälle, z.B. Kindschafts- oder Pflegeangelegenheiten. Es gelten keine einheitlichen Fristen, aber der Grundsatz der unverzüglichen Handlung laut § 24 SGB VIII. In der Praxis lassen sich oft Fristen per E-Mail-Erinnerung („nach 6–8 Wochen“) setzen.

Polizeidienststellen Antworten auf Auskunftsersuchen unterliegen häufig Ermittlungsstandards und Vertraulichkeitsregelungen. Rechtsgrundlagen sind z.B. §147 StPO oder die Polizeigesetze des Bundeslandes. Eine Untätigkeitsklage greift hier seltener – stattdessen kann ggf. eine förmliche Beschwerde bei der Dienstaufsicht eingereicht werden.

Gerichte & Justizbehörden Obwohl gerichtlich unabhängig, unterliegen sie dem Beschleunigungsgebot (§2 GVG). Bei unangemessener Verfahrensdauer kann eine Verzögerungsrüge (§198 GVG) gestellt werden. Eine Untätigkeitsklage ist hier nicht vorgesehen – stattdessen erfolgt eine Rüge an das zuständige Präsidialgericht.

Renten- & Krankenversicherungsträger Nach §88 SGG haben Sozialleistungsträger grundsätzlich 3 Monate Zeit zur Bescheiderteilung. • Dauert die Bearbeitung länger, kann eine Untätigkeitsklage bei einem Sozialgericht eingereicht werden. • In Eilverfahren oder bei Gefahr im Verzug kann bereits früher gehandelt werden.

Fazit: Die maximale Bearbeitungsdauer variiert je nach Behörde – von wenigen Wochen bis zu einigen Monaten. Gleich bleibt: Passiert nichts, kann rechtlicher Druck durch z.B. anwaltliche Erinnerung, Beschwerden oder Klagen aufgebaut werden.

Typische Praxis / Missstände

Wenn Abwarten zum System wird – typische Missstände in der Verwaltungspraxis

Auch wenn die Gesetze klare Fristen vorgeben, erleben viele Bürgerinnen und Bürger im Alltag das Gegenteil: Anträge verschwinden in der Schublade, Rückfragen bleiben unbeantwortet, und Bescheide verzögern sich ohne Begründung über Monate.

Manche Behörden setzen offenbar darauf, dass Betroffene irgendwann aufgeben – sei es aus Frust, fehlendem Wissen oder fehlender rechtlicher Unterstützung. Gerade bei besonders belastenden Lebenssituationen – etwa bei existenzsichernden Leistungen – kann solches Verhalten gravierende Folgen haben.

„Experten kritisieren seit Jahren strukturelle Defizite in deutschen Ämtern – von Überlastung bis zur gezielten Verzögerungspraxis bei bestimmten Antragstellergruppen.“

– Süddeutsche Zeitung, Kommentar vom 12.01.2024

Die Praxis zeigt:
  • Widersprüche werden oft „liegen gelassen“, obwohl sie zügig bearbeitet werden müssten.
  • Erinnerungen per E-Mail oder Telefon finden selten Eingang in die Akten.
  • Selbst schriftlich gesetzte Fristen durch Anwälte werden ignoriert.

In vielen Fällen hilft nur, durch Akteneinsicht oder anwaltliche Vertretung Druck aufzubauen – oder notfalls den Klageweg zu beschreiten. Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates leidet darunter – besonders, wenn Verfahren gezielt verschleppt oder bestimmte Antragsteller*innen systematisch benachteiligt werden.

Was kann ich tun?

Untätigkeit ist kein Schicksal – Ihre Handlungsmöglichkeiten im Überblick

Wenn eine Behörde nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist auf einen Antrag, Widerspruch oder eine Eingabe reagiert, haben Sie als Bürgerin oder Bürger verschiedene rechtliche Mittel zur Verfügung.

1. Schriftliche Erinnerung: Formulieren Sie eine sachliche Erinnerung mit Fristsetzung (z. B. 14 Tage) und senden Sie diese per Einschreiben mit Rückschein oder per Fax mit Sendebericht.
2. Dienstaufsichtsbeschwerde: Wenn Sachbearbeiter systematisch verzögern oder nicht reagieren, kann eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Behördenleiter eingereicht werden – formlos, aber dokumentiert.
3. Fachaufsichtsbeschwerde: Bei inhaltlichen Fehlern oder behördlicher Willkür ist die nächsthöhere Aufsichtsbehörde zuständig (z. B. Bezirksregierung oder Ministerium).
4. Akteneinsicht beantragen: Nach § 29 VwVfG haben Sie unter bestimmten Voraussetzungen das Recht auf Einsicht in Ihre Verwaltungsakte – auch zur Nachvollziehbarkeit von Verfahrensverzögerungen.
5. Untätigkeitsklage erheben: Wenn innerhalb von 3 Monaten (bei Anträgen) oder 3 Monaten (bei Widersprüchen) keine Entscheidung ergeht, erlaubt § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Klage wegen Untätigkeit.

„Der Bürger hat Anspruch auf eine sachgerechte Bearbeitung seines Antrags in angemessener Zeit. Untätigkeit kann als Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes gewertet werden.“

– Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 08.03.2021 (VG 12 K 178.20)

6. Einschaltung von Ombudsstellen oder Presse: In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, Missstände öffentlich zu machen oder neutrale Beschwerdestellen einzubeziehen (z. B. Bürgerbeauftragte, Landesdatenschutzbeauftragte, Journalistinnen und Journalisten).

Wichtig: Bleiben Sie sachlich, dokumentieren Sie jede Kommunikation und nutzen Sie rechtliche Fristen konsequent. Wer sich informiert und strukturiert handelt, kann Behörden zur Bewegung zwingen – notfalls mit gerichtlicher Unterstützung.

Hinweisbox / Musterschreiben / Links

Hinweis: Die bereitgestellten Informationen und Gesetzesverweise dienen der journalistischen Aufklärung und ersetzen keine individuelle Rechtsberatung.

Alle genannten Paragrafen können Sie in voller Länge beim Bundesministerium der Justiz nachlesen:

§ 75 Verwaltungsgerichtsordnung (Untätigkeitsklage)
§ 17 SGB I (Antragstellung bei Sozialbehörden)
§ 88 SGB X (Fristen bei Sozialbehörden)
§ 29 VwVfG (Akteneinsicht)

– Redaktion Verfassungswache.de (Stand: Juli 2025)

Weiterführende Informationen mit internen Links

Weiterführende Informationen

Wenn Behörden nicht reagieren, helfen Ihnen diese Themenbereiche auf Verfassungswache.de weiter – mit Hintergrundwissen, rechtlichen Grundlagen und Musterschreiben:

In eigener Sache:
Wenn Sie selbst von behördlicher Untätigkeit oder strukturellem Fehlverhalten betroffen sind, können Sie Ihren Fall über unser redaktionelles Meldeformular einreichen.

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Unsere Redaktion prüft alle Fälle sorgfältig. Bei entsprechender Relevanz nehmen wir journalistisch Kontakt mit der zuständigen Behörde auf und dokumentieren den Vorgang im Rahmen unserer Recherchearbeit.

Weitere Informationen finden Sie in der übergeordneten Themenübersicht „Wissen & Recht“.

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Stand der letzten Prüfung: Juli 2025

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