Einleitung

Wenn nationale Gerichte versagen – der Weg zu den höchsten europäischen Instanzen

In besonderen Fällen, wenn nationale Rechtsmittel erschöpft sind und Betroffene dennoch keinen wirksamen Rechtsschutz erhalten, bleibt nur der Gang zu den höchsten europäischen Gerichten: dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg oder dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg.

Während der EGMR auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) agiert und vor allem individuelle Menschenrechtsverletzungen prüft, ist der EuGH für die einheitliche Auslegung und Anwendung von EU-Recht zuständig. Beide Gerichte bieten – unter unterschiedlichen Voraussetzungen – die Möglichkeit, strukturelle Fehlentwicklungen, Rechtsverletzungen oder systemisches Behördenversagen auf europäischer Ebene zu überprüfen.

Diese Themenseite zeigt Ihnen, welche Unterschiede zwischen EGMR und EuGH bestehen, wer sich wann an welches Gericht wenden kann und welche Voraussetzungen und Fristen gelten. Ergänzt wird die Übersicht durch Fallbeispiele, typische Hürden und praxisnahe Hinweise – inklusive Link zum offiziellen EGMR-Beschwerdeformular.

Rechtliche Grundlagen

Europäische Grundrechte – zwei Gerichte, zwei Rechtsquellen

Die rechtlichen Grundlagen für Beschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) unterscheiden sich in ihrer Struktur und Zielsetzung:

„Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert jedem Menschen das Recht auf ein faires Verfahren, wirksamen Rechtsschutz und Achtung des Privat- und Familienlebens.“

– Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 6, 13, 8

1. EGMR – Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK):

  • Rechtsgrundlage: EMRK (Konvention Nr. 005)
  • Institution: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Straßburg)
  • Grundlage: Schutz individueller Menschenrechte in Europa
  • Deutschland hat die EMRK 1952 unterzeichnet, 1953 ratifiziert
  • Bindend für alle staatlichen Stellen – auch Gerichte und Verwaltung

2. EuGH – Charta der Grundrechte der Europäischen Union:

  • Rechtsgrundlage: Charta der Grundrechte der EU (GRC)
  • Institution: Gerichtshof der Europäischen Union (Luxemburg)
  • Grundlage: Sicherung der einheitlichen Auslegung und Anwendung von EU-Recht
  • Gilt nur, wenn EU-Recht betroffen ist (z. B. Datenschutz, Asylrecht, Binnenmarkt)

Zwar stehen sich EGMR und EuGH nicht hierarchisch gegenüber, doch beide Gerichtshöfe spielen eine zentrale Rolle im Schutz individueller Rechte – insbesondere dann, wenn nationale Gerichte versagt haben oder EU-Rechtsakte betroffen sind.

Zulässigkeit & Voraussetzungen

Wer darf eine Beschwerde einreichen – und unter welchen Bedingungen?

Die Anforderungen an eine Beschwerde unterscheiden sich erheblich zwischen dem EGMR und dem EuGH. Beide Gerichte prüfen nicht automatisch jeden Antrag, sondern verlangen bestimmte Voraussetzungen, um überhaupt tätig zu werden.

1. EGMR – Individualbeschwerde:

  • Beschwerdefähig: Jede natürliche oder juristische Person, die sich in ihren Rechten verletzt sieht
  • Zulässigkeit:
    • Der innerstaatliche Rechtsweg muss vollständig ausgeschöpft sein (Subsidiaritätsprinzip)
    • Die Beschwerde muss binnen vier Monaten nach der letztinstanzlichen Entscheidung eingehen
    • Es muss eine Verletzung eines konkreten Rechts aus der EMRK vorliegen
  • Form: Einreichung über das offizielle Beschwerdeformular des EGMR (Download hier)

2. EuGH – Individualbeschwerden indirekt über nationale Gerichte:

  • Einzelpersonen können in der Regel nicht direkt beim EuGH klagen (Art. 263 Abs. 4 AEUV)
  • Stattdessen: Vorlageverfahren (Vorabentscheidungsverfahren) über nationale Gerichte nach Art. 267 AEUV
  • Voraussetzung: Das nationale Gericht ist bereit, dem EuGH die Frage zur Auslegung des EU-Rechts vorzulegen

Während der EGMR ein echtes Individualrecht auf Beschwerde bietet, ist der EuGH in erster Linie ein Gericht für institutionelle Verfahren. Dennoch kann die Charta der Grundrechte über den Umweg nationaler Gerichte auch auf dem Weg des Vorabentscheidungsverfahrens durchgesetzt werden.

„Viele Bürgerinnen und Bürger glauben, sie könnten einfach in Luxemburg oder Straßburg 'Klage einreichen'. In der Praxis scheitern jedoch über 90 % aller Beschwerden schon an den formalen Hürden.“

– Hinweis der Redaktion, basierend auf Auswertungen des EGMR-Jahresberichts

Form & Frist

Formal korrekt einreichen – damit Ihre Beschwerde nicht scheitert

Sowohl beim EGMR als auch beim EuGH gelten strenge formale Anforderungen. Eine unvollständige oder verspätete Einreichung führt in der Regel zur sofortigen Zurückweisung.

1. EGMR – Formvorgaben und Frist:

  • Beschwerde ist schriftlich einzureichen – eigenhändig unterschrieben
  • Einreichung muss über das offizielle Beschwerdeformular (PDF) erfolgen
  • Frist: spätestens vier Monate nach dem letztinstanzlichen nationalen Urteil (seit Änderung zum 1. Februar 2022)
  • Versand ausschließlich per Post an:
    European Court of Human Rights
    Council of Europe
    F-67075 Strasbourg Cedex, France
  • Empfehlung: Verwenden Sie Einschreiben mit Rückschein und bewahren Sie einen Beleg über den fristgerechten Versand auf

2. EuGH – über nationale Gerichte:

  • Kein direkter Versand durch Privatpersonen: Nur nationale Gerichte können Vorlagefragen im Rahmen von Art. 267 AEUV an den EuGH übermitteln
  • Die Fristsetzung und formalen Abläufe hängen vom jeweiligen nationalen Verfahren ab – in Deutschland z. B. gemäß § 124a VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung)

Hinweis der Redaktion: Wenn Sie Ihre Beschwerde ohne anwaltliche Unterstützung einreichen, achten Sie besonders auf Vollständigkeit, Unterschrift und einen frühzeitigen Postversand per Einschreiben. Die formale Ablehnung ist der häufigste Grund für eine Nichtannahme.

Instanzenspezifische Unterschiede

EGMR und EuGH – zwei unterschiedliche Wege mit jeweils eigener Zuständigkeit

Obwohl beide Gerichte auf europäischer Ebene agieren, verfolgen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) unterschiedliche Zielsetzungen und unterliegen verschiedenen rechtlichen Rahmenbedingungen.

1. Der EGMR – für Individualbeschwerden gegen Staaten:

  • Zuständig für Menschenrechtsverstöße gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)
  • Individuen können nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs eine Beschwerde einreichen
  • Bindend für alle 46 Mitgliedsstaaten des Europarats (nicht identisch mit der EU!)
  • Schwerpunkte: faires Verfahren, Recht auf Freiheit, Schutz der Familie, Folterverbot etc.

2. Der EuGH – im Kontext des Unionsrechts:

  • Zuständig für die Auslegung und Durchsetzung von EU-Recht
  • Nur Gerichte der Mitgliedstaaten können Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV einleiten
  • Keine Individualbeschwerden durch Bürger möglich
  • Entscheidungen des EuGH sind in der gesamten EU rechtsverbindlich

Beide Gerichte sind hochrangige Institutionen mit weitreichender Wirkung – aber nur der EGMR bietet einen direkten Zugang für betroffene Einzelpersonen, um eine mögliche Verletzung ihrer Grundrechte geltend zu machen.

Typische Praxis / Missstände

Realität vs. Anspruch – der schwierige Zugang zum EGMR und EuGH

Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine zentrale Rolle im Schutz der Grundrechte einnimmt, ist die tatsächliche Durchsetzung der Menschenrechte über diesen Weg oft mit erheblichen Hürden verbunden.

Vielfach scheitern Beschwerden bereits an der formellen Zulässigkeit – oder weil nationale Instanzen nicht vollständig ausgeschöpft wurden. Auch der Eindruck, dass der Gerichtshof strukturell überlastet ist, ist nicht unbegründet.

„Bis zu 90 Prozent aller Beschwerden werden vom EGMR bereits in der Vorprüfung als unzulässig zurückgewiesen.“

– Süddeutsche Zeitung, Analyse vom 14.03.2023

Ein weiteres Problem stellt die tatsächliche Umsetzung der Urteile dar. Zwar sind die Entscheidungen des EGMR für die Vertragsstaaten rechtlich bindend, doch in der Praxis kommt es immer wieder zu Verzögerungen, zögerlicher Umsetzung oder – im Extremfall – zu Missachtung durch nationale Behörden.

Bekannte Missstände im Umgang mit EGMR-Urteilen:

  • Verzögerte Umsetzung oder politische Blockade bei unbequemen Urteilen
  • Unzureichende Entschädigungsleistungen trotz Urteilserfolg
  • Fehlende strukturelle Reformen trotz systemischer Rügen

Beim EuGH wiederum ist die fehlende individuelle Klagemöglichkeit ein systemisches Defizit für Betroffene. Nur nationale Gerichte können im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens einen Fall vorlegen – was in der Praxis selten geschieht.

„Trotz eindeutiger EU-Rechtsverstöße wollte kein Gericht meine Vorlagefrage stellen – ich fühlte mich vollkommen machtlos.“

– Erfahrungsbericht, anonymisiert (2024)

Was kann ich tun?

Was Sie selbst tun können – strukturiert vorgehen trotz hoher Hürden

Auch wenn der Weg zum EGMR oder EuGH komplex ist, können Betroffene einige konkrete Schritte unternehmen, um die Erfolgschancen zu erhöhen. Dabei ist strategisches Vorgehen entscheidend.

  1. Alle innerstaatlichen Rechtsmittel vollständig ausschöpfen
    Beim EGMR ist dies zwingende Voraussetzung. Dazu gehören auch Rechtsmittel wie Verfassungsbeschwerde oder fachgerichtliche Revision. Ohne diese Ausschöpfung wird die Beschwerde als unzulässig abgelehnt.
  2. Fristen sorgfältig beachten
    Die Beschwerde beim EGMR muss innerhalb von vier Monaten nach der letzten innerstaatlichen Entscheidung eingehen. Beim EuGH gelten andere Regeln – dort kann nur über ein nationales Gericht vorgelegt werden.
  3. Dokumentation aller Entscheidungen und Umstände
    Halten Sie alle gerichtlichen Entscheidungen, Schriftsätze und relevante Schreiben sauber sortiert und scanbereit. Auch ärztliche Gutachten, behördliche Schreiben oder Presseberichte können wichtig sein.
  4. Begründung präzise und menschenrechtlich fundiert formulieren
    Der EGMR prüft keine neuen Beweise – sondern nur, ob bestehende Entscheidungen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen. Es muss klar werden, wodurch genau welcher Artikel der EMRK verletzt wurde.
  5. Ernsthaft erwägen, juristische Unterstützung in Anspruch zu nehmen
    Auch wenn ein Anwalt nicht zwingend vorgeschrieben ist: Ohne fundierte juristische Argumentation und Fachkenntnis sind die Chancen äußerst gering. Eine unzureichende Beschwerde wird direkt ohne Prüfung abgelehnt.
  6. Gegebenenfalls anwaltliche Vertretung für Vorlage an den EuGH anregen
    Falls Sie sich auf europäisches Unionsrecht berufen, kann ein nationaler Richter eine sogenannte Vorabentscheidung beim EuGH beantragen. Dies muss gut vorbereitet und rechtlich begründet sein.

In beiden Fällen – ob EGMR oder EuGH – gilt: Eine gute Vorbereitung erhöht die Chancen auf inhaltliche Prüfung erheblich.

Hinweisbox / Musterschreiben / Links

Hinweis der Redaktion:
Dieser Artikel stellt keine Rechtsberatung dar, sondern dient der journalistischen Aufklärung. Die genannten Informationen basieren auf öffentlich zugänglichen Quellen, Gesetzestexten und Erfahrungswerten. Wenn Sie eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Erwägung ziehen, empfehlen wir dringend, rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen.

Für den EGMR finden Sie offizielle Informationen, Formulare und Merkblätter auf der Seite des Europarats: Weitere Informationen zum EuGH und zur Vorlage durch nationale Gerichte:
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Stand der letzten Prüfung: Juli 2025

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